Zur Hauptnavigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zur Suche (Enter)

Zur Lebensgeschichte von Christoph Huber

von Lothar Schwalm

Die Lebensgeschichte von Christoph Huber hat mich sehr berührt. Als ich sie zum ersten Mal gelesen habe, war ich erschrocken und fasziniert zugleich. Ich bewundere seinen Lebensmut, seinen Humor, seine Art, mit den Schicksalsschlägen des Lebens umzugehen. Besonders getroffen hat mich seine Erblindung im Juli 94.

Ja, es gibt einige Menschen, denen das Tourette- Syndrom ganz besonders stark zusetzt, wenn die Zwänge

mit selbstverletzenden Ritualen einhergehen. Jedoch in der größeren Zahl sind die Menschen mit dem Tourette- Syndrom nicht so stark betroffen wie Christoph.

Ich selbst beispielsweise habe Tourette von früher Kindheit an und es hat sich im Laufe meines Lebens nur verstärkt- bis zu meinem 26. Lebensjahr. Dann habe ich andere Medikamente ausprobiert und binnen vier Monaten ist mein Tourette so gut wie verschwunden: keine Schreie mehr, kaum noch Tics, kaum noch Zwangsstörungen.

Seither lebe ich quasi wie befreit vom TS und es geht mir (trotz einiger Nebenwirkungen) so gut wie lange nicht mehr in meinem Leben. Dieser Zustand wird sich vermutlich in der nächsten Zeit auch nicht ändern. Ich will sagen: Seit ich die Medikamente nehme und solange ich sie nehme, kann ich sehr gut mit mir, dem TS und meiner Umwelt leben. Ich bin froh, dass ich heute so leben kann, wie ich es möchte und danke vor allem meiner Freundin, dass sie so darauf bestanden hat, dass ich die Medikamente wenigstens mal ausprobiere ( ich hatte nämlich große Angst davor, sie würden mein Selbst stark verändern)

Was ich sagen möchte ist folgendes: Nicht jedem Touretti muss es so ergehen wie Christoph! Sicher, sein Leben ist gepflastert mit Schwierigkeiten und harten Schicksalsschlägen, oft genug ging es ihm nach guten Zeiten wieder schlecht und selbst heute ist sein weiterer Lebensweg sehr offen.

Aber es gibt auch Betroffene, denen es, wie gesagt, besser geht, vielleicht auch erst nach langer Zeit, so wie mir, vielleicht aber auch schon Zeit ihres Lebens. Eine der herausragenden Eigenschaften des TS ist: Niemand vermag voraus zu sagen, wie es sich entwickeln wird. Es kann schlechter werden und bleiben, aber es muss nicht. Es kann sich im Laufe der Jahre auch bessern und beinahe oder völlig verschwinden. Vielen Tourettis geht es heute relativ gut. Sie haben sich ihr Leben eingerichtet und häufig merkt die Außenwelt nicht einmal was von den Tics oder Zwangshandlungen. Viele Tourettis leben erfolgreich und unbemerkt unter uns, nicht jedem steht ein endloses Martyrium bevor wie Christoph, was ja die anderen Lebensgeschichten aufzeigen.

Ich möchte mit diesen Worten all jenen Mut machen, die Christophs Lebensgeschichte gelesen haben und sich denken: "Oh, Gott, hoffentlich passiert das mir (unserem Kind) nicht auch!"

Jedes Tourette entwickelt sich ausschließlich individuell und sollte auch so bewertet und behandelt werden. Niemand muss befürchten, dass ein Leben mit TS nur aus Höllenqualen bestehen wird oder in jedem Fall in derartiges selbstzerstörerisches Tun mündet.

Und selbst Christoph beschreibt immer wieder Phasen der Besserung, von annähernd normalem Lebensgefühl, vor allem zu Hause bei seinen Eltern. Er bleibt auch trotz der Schwierigkeiten seines Lebens ein humorvoller und wohl auch zeitweise glücklicher Mensch. Tourette muss nicht nur Leiden bedeuten und sollte es auch nicht. Selbst ich habe in meinen schwersten Zeiten nie aufgegeben, immer an ein Danach geglaubt und möchte allen Betroffenen und Angehörigen sagen: Das Tourette gehört zwar zu uns wie die Milch zum Frühstück, aber wir sind mehr als nur Tourette- besessene Menschen. Es gibt Hochs und Tiefs und sie wechseln sich in der Regel immer ab. Doch wir sollten nicht vergessen, auch andere Menschen - "Nicht-Tourettis"- müssen mit den jeweiligen Schwankungen in ihrem Leben klarkommen.

So bleibt mir am Schluss nur noch allen anderen Betroffenen wie eben auch Christoph zu wünschen, dass es uns und ihm wieder besser gehen wird, dass es uns zumindest so ergeht, dass wir wie Christoph nie den Mut und den Humor verlieren werden.

Quelle: Mitgliederzeitung der Tourette-Gesellschaft Deutschland "Tourette Aktuell" Nr. 4