Keine falsche Scheu - Was ein Behindertenausweis beim Tourette Syndrom bedeuten kann

von Christian Hempel

In einer Welt oder vielleicht trifft dies auch tatsächlich besonders auf Deutschland zu, in der Papiere und Ausweise als Legitimationen manchmal wichtiger sind als tausend gut gemeinte Worte, kann ein Behinderten-Ausweis helfen. Auch beim Tourette Syndrom. Auch wenn das Wort "Behinderung" niemand so gerne hört oder man sich gar selber gerne als "behindert" bezeichnen möchte.

Wenn man diesen Behinderten-Status als eine Chance versteht zu einem gewissen Nachteils-Ausgleich zu kommen, den es nun einmal mit Krankheit oder Behinderung gibt, kann ein Behinderten-Ausweis zur Vereinfachung beitragen und ganz praktisch helfen.

Beim Tourette Syndrom sind, je nach Art und Ausprägung der Symptome, 50%, 60%, 80% oder auch 100% als sog. Grad der Behinderung (=GdB) möglich und Eintragung von bestimmten Merkmalen (wie beispielsweise "RF", für die Rundfunkgebührenbefreiung, "G" Mobilitätseinschränkungen).

Vielfach hört man: "Mach das bloß nicht mit dem Ausweis - Du bist fürs Leben gezeichnet - findest nie einen Arbeitsplatz, denn ein Arbeitgeber stellt doch keinen unkündbaren Behinderten ein!"

Das Märchen der Unkündbarkeit von Behinderten, hält sich genau so hartnäckig wie, dass Spinat viel Eisen enthält. Es ist richtig, dass es für Behinderte einen besonderen Kündigungsschutz gibt, aber dieser bezieht sich nur auf Kündigungen die in der Behinderung begründet sind und darauf, dass bei Kündigungen die Hauptfürsorgestelle ihre Zustimmung geben muss. Diese muss das jedoch tun, wenn die ausgesprochene Kündigung nicht ausschließlich in der Behinderung selbst begründet ist.

Das Bild welches sich in den Köpfen vieler Menschen formt, wenn der Begriff "Behinderter" fällt, ist oft negativ. Dass es oft nicht die Einschränkungen der Behinderung selber sind die behindern, sondern gesellschaftliche Gewöhnungen, die diskreditieren und ein "normales" und selbstbestimmtes Leben mit Behinderung erschweren, wird vergessen.

Es macht durchaus Sinn, einen Schwerbehindertenausweis zu nutzen, wenn man ihn nicht als einen von außen "aufgedrückten" Stempel versteht.

Tausende Menschen haben anerkannte und manchmal nur geringe Leiden, die Sie in ihrem Leben behindern. Es ist die Redakteurin nach Krebs und anschließender Brust OP, der Außendienstprofi nach doppelter Hüftoperation, der Lagerarbeiter mit schwerer Zuckerkrankheit, die Geschäftsführerin nach Herz-Attacke, der nicht sehende oder taube Mensch, wie auch der Rollstuhl-Fahrer. Rund 6,5 Mio. Menschen in Deutschland gelten als schwerbehindert.

Ein Behinderten-Ausweis zu besitzen bedeutet nicht bekloppt zu sein, keiner Arbeit nach gehen zu können - bedeutet nicht ausgeschlossen zu werden, sondern es etwas leichter zu haben - ein Ausgleich bezüglich der besonderen Schwierigkeiten und Aufwendungen, die eine Krankheit mit sich bringen kann.

Dies sind im Einzelnen beispielsweise:

  • Ermäßigungen und Gebührenbefreiungen
  • Steuerliche Ermäßigungen (Lohn- und Einkommenssteuer, PKW-Steuer)
  • Reha-Träger wie Arbeitsämter, Rentenversicherungsträger und die Berufsgenossenschaften zahlen bis zu 100% der Aufwendungen bei Arbeitsverhältnissen auf Probe
  • Arbeitgebern wird entgegen gekommen: Bis zu 5 Jahre werden bis zu 80% vom Lohn durch das Arbeitsamt übernommen
  • Zuschüsse für speziell eingerichtete Arbeitsplätze / Hilfsmittel / ggf. notw. Umbauten
  • Ermäßigte oder freie Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
  • Die Möglichkeit Tourette leichter zu erklären

Ablauf der Beantragung eines Schwerbehinderten-Ausweises beim Tourette Syndrom

  1. Informieren Sie sich zum Thema z.B. mit Hilfe der Linksammlung unter "Weitere Informationen zum Thema" weiter unten auf dieser Seite.
  2. Wägen Sie ab, ob ein Ausweis Sinn macht. Befragen Sie im Falle, dass ihr Kind einen solchen bekommen soll, in erster Linie natürlich Ihr Kind - schließlich geht es auch darum, sich mit einem Ausweis nicht minderwertig zu fühlen, sondern ihn als Hilfe anzunehmen - dies kann nur jeder für sich selbst entscheiden.
  3. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt (ein Facharzt ist hier sicher sinnvoll), ob er einverstanden ist, wenn Sie ihn als Kontakt-Adresse im Antragsformular nennen, damit er gutachterlich Stellung nehmen kann, wenn das Versorgungsamt anfragt. Besprechen Sie mit ihm im Vorfeld, was Ihnen wichtig ist, was berücksichtigt werden sollte und welchen Grad der Behinderung, samt der sogenannten Merkmale Sie für richtig halten.
  4. Füllen Sie das Formular Ihres Versorgungsamtes aus. Bei der Beantragung kann es gut sein, auf eine bekanntere von ihrer Ausprägung ähnliche Erkrankung zu verweisen, wie zum Beispiel die Epilepsie. Schicken Sie das Formular an die entsprechende Stelle.
  5. Ein Bescheid dauert manchmal etwas - Zeiten von sechs Wochen sind nicht unüblich. Wenn der Bescheid da ist, aber der Grad der Behinderung oder Merkmale nicht in Ihrem Sinne festgestellt wurde, scheuen Sie sich nicht einen Widerspruch einzulegen. Begründen Sie Ihren Widerspruch und achten Sie auf Einhaltung der Frist! Es ist ratsam Ihren Arzt kurz zu informieren, so dass auch er gegebenenfalls erneut kurz Stellung nehmen kann.

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